Die Spiesheimer Fenster

Im Rahmen der Aktion "Kunst am Bau" wurden von dem Spiesheimer Künstler, Stefan Gassner, einige Fenster der Sängerhalle künstlerisch gestaltet. Die einzelnen Fensterflächen stellen das Leben in der Gemeinde durch ausdrucksstarke Motive dar.

Während die Glaskunst im Altbau der Sängerhalle die typisch rheinhessische Landschaft und somit die Umgebung Spiesheims aufzeigt, stellen die Fenster im Neubau symbolhaft die wichtigsten Aktivitäten in der Gemeinde Spiesheim dar. Der Weinbau, der Sport, die Kunst und der Gesang spielen dabei neben einer starken Gemeinschaft, symbolisiert durch zwei ineinander greifende Hände, die Hauptrolle in Spiesheim und sind durch mit verschiedenen Gläsern gefertigte und vorwiegend technisch geprägte Bleiverglasungen dargestellt.

Sie können sich die Unikate in der folgenden Foto-Galerie anschauen. (Zum Vergrößern klicken Sie bitte auf das jeweilige Bild.)

Traube Rebenschere Kelter Fass Flaschen Gläser
Hände Turnschuh Palette Lyra West-Fenster  
Fenster nach Osten

 

Nachfolgend finden Sie einen Auszug aus der Rede des Künstlers, Stefan Gassner, anlässlich der Einweihung der Fenster, am 16.09.2001:
Vorbemerkung

Eigentlich ist zu den neuen Fenstern der Sängerhalle, die ich die "Spiesheimer Fenster" nennen möchte, - Gott sei dank - nicht viel   zu erklären. Sie geben dem Betrachter - zumal dem Spiesheimer   - wenig Rätsel auf. Sie sprechen für sich selbst. Dennoch ergreife ich gerne die Gelegenheit, Erklärungen abzugeben,   zu zeigen, dass das, was so selbstverständlich daherkommt, das Ergebnis vielfältiger Überlegungen und Mühen ist. Wenn man dies dem Ergebnis nicht ansieht - um so besser.

Kunst am Bau

Was bedeutet "Kunst am Bau"? Es gibt eine Vorschrift, nach der öffentlich geförderte Bauten einen bestimmten Prozentsatz der Bausumme für Kunst ausgeben müssen. Sie stammt aus einer fernen, längst vergangenen Zeit, in der es unser Staat als öffentliche Aufgabe ansah, Kunst und Künstler zu fördern, ihnen ein Betätigungsfeld zu schaffen und gleichzeitig der Verödung und Versachlichung des öffentlichen Raums durch nur nach Kostengesichtspunkten erstellten Bauten   entgegenzuwirken.

Erweiterung und Renovierung der aus dem Jahr 1900 stammenden Sängerhalle im Jahr 1994/95 war ein solches Projekt. Es wurde zwar in 1. Linie durch die beispielhafte Eigenleistung der Spiesheimer Bürgerschaft unter der Leitung von Altbürgermeister August Ohl erstellt, war aber selbstverständlich dennoch auf öffentliche Förderung angewiesen. An Kunst war angesichts der knappen Mittel erst einmal nicht zu denken. Aber irgendwann - Jahre später - führte kein Weg mehr an dieser als lästig empfundenen Vorschrift vorbei.

Ich habe den Eindruck, das ist der normale Lauf der Dinge. Er führt in vielen Fällen dazu, dass die Kunst vor den Bau gepackt wird - einfach weil da noch Platz ist. Statt die Kunst von vorneherein in die Planung zu integrieren, wird sie drauf- und/oder davor gesetzt. Was nur all zu oft dabei herauskommt, sind im Zickzack verlegte, bunt angestrichene Rohre. Oder rostige Eisenquader, die ohne Bezug zum Gebäude und seinen Nutzern vor dem Gebäude herumliegen.

Ich finde es verständlich, wenn nach solchen Erfahrungen bei Steuerzahlern und Gemeinden wenig Neigung besteht, erhebliche Mittel für Kunstwerke auszugeben, über die sich der Bürger später ärgern wird.

Doch kann es auch gelingen - und es gibt auch hierfür genügend Beispiele -, einen Bau auch im nachhinein zu schmücken, seine Architektur zu unterstützen und dazu beizutragen, dass sich der Bürger in ihm aufgehoben und repräsentiert fühlt.

Als Künstler finde ich die Kunst am Bau-Regelung - die übrigens weltweit einmalig ist - wunderbar und will meine Arbeit auch als ein Plädoyer gegen ihre Abschaffung verstanden wissen.

Geschichte

Ich habe mich sehr gefreut, als Bürgermeister Klaus Gombert ziemlich genau vor einem Jahr bei mir anfragte, ob ich mir über die Gestaltung der Sängerhalle mit "Kunst am Bau" Gedanken machen wolle - zumal ich in früheren Jahren schon einmal die Gelegenheit hatte, einen Spiesheimer Bau - die Aussegnungshalle auf dem Friedhof   - mit Fenstern gestalten zu dürfen. Gedacht sei diesmal an eine Fassadengestaltung, eine Art Relief aus Glas, welches sich mit Spiesheimer Themen beschäftigen sollte, insbesondere mit Wein, Musik   (Gesangverein), Sport (Sportverein) und Kunst.

Es gelang mir, die Gemeinderatsmitglieder davon zu überzeugen, statt eines Außenreliefs eine Fenstergestaltung mit Bleiverglasungen in Erwägung zu ziehen. Fenstergestaltungen als Kunst am Bau haben den Vorteil, sich auch nachträglich - sozusagen nahtlos - in den Bau integrieren zu lassen. Da sie das in den Bau einfallende Licht beeinflussen und gestalten, ja selbst zur Lichtquelle für den Innenraum werden, können sie einen überaus dominanten Einfluss auf die Atmosphäre und die gesamte Wirkung des Raumes auf die Benutzer ausüben.

Ich verkneife mir an dieser Stelle alle Ausführungen zum Thema, was mit Glaskunst auch Schreckliches angerichtet werden kann. Aber wenn Sie sich umsehen, können Sie sich selbst davon überzeugen.

Freilich gibt es auch genügend Beispiele dafür, dass Fensterverglasungen - mögen sie im Kontrast oder in Harmonie mit dem Baukörper stehen - mit diesem in einen fruchtbaren Dialog treten, die Zweckbestimmung des Bauwerks unterstützen und eine Atmosphäre schaffen, die den Menschen entgegenkommt. Um die Menschen geht es. Sie sollen sich gerne dort aufhalten, sich wohlfühlen, sich wiederfinden und wiederkommen.

Ich sah mir also die Sängerhalle unter dem Aspekt, welche Fenster sich für eine Gestaltung mit Bleiverglasungen eignen würden, genau an.

Altbau

Als erstes fiel mir die Fenstergruppe über dem Eingang zum Altbau ins Auge, die sich aus verschiedenen Gründen für eine übergreifende Gestaltung anbot. Zum einen wegen der gewünschten Außenwirkung , zum anderen als Projektionsfläche meiner eigenen Gestaltungswünsche. Schon seit vielen Jahren beschäftige ich mich in meiner Arbeit mit dem Thema der rheinhessischen Landschaft. Ich muss zugeben, dass es Jahre, ja fast schon Jahrzehnte gedauert hat, bis ich anfing, Rheinhessen, das mir anfangs als seelenlose Kultursteppe galt, als Landschaft schön zu finden. Noch heute hadere ich ab und zu damit, dass Bäume nach wie vor Mangelware sind - ebenso wie offene Gewässer. Aber es hat sich im Laufe der Jahre ein Respekt vor der kulturellen Leistung und gleichzeitig ein Gefühl für die Schönheiten der Landschaft mit ihrer Weite und den von den Menschen geschaffenen Strukturen herausgebildet.

Ich schrieb seinerzeit in der Begründung zu meinem Gestaltungsvorschlag:

Das 6-teilige Ostfenster des Altbaus mit seinem oberen Segmentbogen und seinem langgezogenen Querformat bot sich mir für ein stilisiertes rheinhessisches Landschaftspanorama an. Durch die vorgeschlagene Fenstergestaltung wird die unverwechselbare, von Landwirtschaft und Weinbau geprägte, hügelige rheinhessische Landschaft, in die Spiesheim eingebettet ist, in ihrer Struktur und Farbigkeit wiedergegeben. Das Fenster soll dabei weniger ein realistische Abbild der unmittelbaren Umgebung darstellen, als dem Betrachter das Gefühl ihrer Weite zu vermitteln.

zum Vergrößern hier klickenDie sanft geschwungene Horizontlinie ließ sich wunderbar mit dem von der Architektur vorgegebenen Rundbogen in einen Dialog setzen. Daher war es nicht erstaunlich, dass die Gestaltung in kürzester Zeit feststand und nicht mehr modifiziert wurde. Es entstand ein imaginärer Ausblick in das weite Land mit einem klaren, nur leicht verschleierten Himmel aus zartblauem Opalglas, der mit den Gelbs, Grüns und Brauns des Bodens aus Opalescentglas kontrastiert, das die Dichte der Erde erfahrbar machen soll. Naturtreue ist nicht angestrebt, die Vielfalt des Landschaftsbildes auf ihre Grundzüge reduziert - abstrahiert, wenn Sie so wollen.

Es lag nun nahe - immer auf der Suche nach den für eine Gestaltung geeigneten Fenstern -, auch die gegenüberliegende Fenstergruppe ins Auge zu fassen. Die altarartige Gruppe von 3 hochformatigen Rundbogenfenstern ergibt auch zusammengenommen ein Hochformat, sodass sich mir in sinnvoller Ergänzung zum horizontal betonten Ostfenster die Erstellung eines vertikalen Landschaftsprospekts anbot. Hierbei kamen mir die schlanken, hoch aufragenden Windkrafträder mit ihrer ästhetisch reizvollen Form entgegen. Sie haben sich in Verbindung mit dem - ebenfalls neuen - Weinbergsturm in kürzester Zeit als weithin sichtbares Wahrzeichen der Gemeinde etabliert und sind für mich ein positives Symbol für eine bessere Zukunft, einen verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen.

zum Vergrößern hier klickenDieses Fenster ist auf räumliche Wirkung angelegt. Um den Eindruck der Tiefe zu erzeugen, habe ich im unteren, also dem Betrachter näheren Bereich mit zum Teil ungewöhnlich großen Glasteilen und breiten Bleilinien gearbeitet, während ich im oberen Bereich, der Ferne, auf große Detailgenauigkeit geachtet habe. Hier sind die Glasteile ungewöhnlich winzig, die Bleilinien filigran bis zur Grenze des technisch Möglichen. Es ist tendenziell weniger "abstrakt" als das Ostfenster und hat im Gegensatz zu diesem ein unverwechselbares Spiesheimer Motiv zum Gegenstand.

Die gewählte Perspektive signalisiert darüber hinaus für mich als Spiesheimer ein ganz starkes Heimatgefühl. Der Blick auf den Osterberg aus südlicher Richtung empfängt den - im Zweifel aus Richtung Autobahn - heimkehrenden Spiesheimer . Wenn er den Osterberg wie im Fenster dargestellt sieht, weiß er, dass er angekommen ist.

So war der Altbau in meiner Vorstellung und als Skizze recht schnell und zwanglos mit Bleiverglasungen ausgestaltet, die Einbettung der Gemeinde in die rheinhessische Landschaft und ihre geographische Lage im Herzen Rheinhessens thematisiert. Nur war noch keine der bürgermeisterlichen thematischen Vorgaben abgearbeitet. Die Themen - Wein, Gesang, Kunst und Sport - fehlten noch vollständig. Und hier wurde es für mich schwierig.

Neubau

Leicht war die Entscheidung, eine bewusste Zäsur zwischen Alt- und Neubau zu machen. Anderes Glas, anderer Stil, andere Technik - es gibt keine Gemeinsamkeiten zwischen den Verglasungen des Alt- und des Neubaus. Die Fenster im Neubau sind nicht mehr übergreifend gestaltet. Sie stehen im Zusammenhang, aber jedes steht für sich. Es sind bewusst Leerflächen gelassen, die Durchsicht in Augenhöhe ist größtenteils gewährleistet, der Lichtverlust gering. Leicht auch, angesichts der zahlreichen kleinen Fensterflächen und den technischen Möglichkeiten der Bleiverglasung -Mosaikverglasung - so ist der Fachbegriff für meine Arbeitstechnik, die sich auf das Aneinanderfügen verschiedenfarbiger oder sonst unterschiedlicher Glasteile beschränkt, insbesondere auf zusätzliche Bemalung verzichtet und von daher relativ grobschlächtig ist - die Entscheidung zu markanten Symbolen, Piktogrammen, Vignetten zu greifen.

Aber schwierig, damit nicht zu langweilen.

Ich zitiere nochmals aus meiner Begründung des Gestaltungsvorschlags:

Die Symbolik des Weinbaus ist durch die Verwendung in der Werbung, auf Etiketten, Preislisten, in der Gastronomie etc. reichlich abgegriffen und einer künstlerischen Umsetzung nur mit großen Schwierigkeiten zugänglich. Ich habe mich bemüht, das Plakative dieser Symbolik zu nutzen, jedoch durch eine zeitgemäße Art der Darstellung und die Wahl der zu verwendenden Gläser zu verfremden und ihr so eine unverwechselbare Charakteristik zu geben.

Mit anderen Worten: Die sich anbietenden Symbole sind besetzt und vom ausgiebigen Gebrauch abgenutzt. Ein fast aussichtloses Gelände für die Kunst.

Wenn die Sequenz über den Wein dennoch nicht abgedroschen und das Foyerfenster zum kulturellen Leben in Spiesheim nicht pathetisch wirkt - und das hoffe ich ganz inständig - , so verdankt sich diese Tatsache einer Reihe von Stilmitteln - Sie können auch sagen "Tricks" -, die ich nicht verrate. Ich kann nur soviel sagen, dass es ein überaus mühevoller und langwieriger Prozess und ein schönes Stück Arbeit war.

Das Symbol der sich umfassenden Hände an prominenter Stelle ist mein ganz persönlicher Beitrag zu der Gesamtverglasung. Es erinnert an die Widmung des Gebäudes für gemeinschaftliche Veranstaltungen und besonders an die schon erwähnte Aufbauleistung der Spiesheimer Bevölkerung bei der Renovierung der Sängerhalle.

zum Vergrößern hier klickenDas Symbol soll aber auch eine Beschwörung der Gemeinschaft, des dörflichen Zusammenhalts und der Hilfsbereitschaft sein. Ein Zeichen für Versöhnung unter den Menschen. Nicht gemeint ist die Solidarität, die beschworen wird, um sich gegen andere Menschen zu verbünden. Die Hände in diesem Fenster verbünden sich miteinander in Frieden und Gleichheit - nicht gegen Dritte. Es soll eine Beschwörung, eine Bekräftigung von Werten sein, die über alle Kurzlebigkeit hinweg nicht nur gestern und heute, sondern auch in Zukunft Gültigkeit behalten und uns eine Orientierung geben.

Eine Variante dieser Verglasung als Fensterbild möchte ich der Gemeinde Spiesheim zu diesem Anlass als Geschenk überreichen und mich damit für die gute Zusammenarbeit bedanken.

Ebenso bedanke ich mich bei Magdalene Gombert, Agnes Nöth und Anja Sailer, die bei der Ausrichtung dieser kleinen Feier geholfen haben .

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